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Boxer und Heilige


Viele Leute sagen mir, dass ich den Verstand eines Boxers habe, dass ich wie ein Boxer denke und wahrscheinlich stimmt’s. Ich bin ein aggressiver Mensch, wenn’s um Dinge geht, die ich durchsetzen will. Sobald ich das Gefühl habe, dass mir jemand Unrecht tut, kämpfe ich – auch mit meinem Körper. So bin ich immer gewesen. – Boxen ist eine Wissenschaft für sich und ich schau mir wahnsinnig gern einen Kampf zwischen zwei Jungs an, die genau wissen, was sie machen […] Im Boxen ist Stil genauso wichtig wie in der Musik […] Bei allem, was du tust, musst du Stil haben.“ (Miles Davis)1)

Miles Davis Vorbild in jungen Jahren, der Trompeter Dizzy Gillespie,2) war bei einem Konzert3) mit Charlie Parker anfangs nicht recht bei der Sache, weil ihn als Boxfan ein gleichzeitig im Radio übertragener Boxkampf interessierte, von dem er sich laufend berichten ließ.4) Andere Musiker, wie Kenny Dorham5), Red Garland6) und Jimmy Smith7), übten den Boxsport selbst aus. Miles Davis war ein besonders talentierter Boxer8) und Ende der 1960er Jahre begann er, auf Tourneen einen persönlichen Boxtrainer mitzunehmen.9) An Stationen seiner Tourneen wurde ein Trainingsring gemietet und ein Sparringpartner angeheuert, damit er vor seinem Auftritt boxen konnte.10) Um 1970 nahm er die Filmmusik für einen Dokumentarfilm über Jack Johnson auf,11) der im Jahr 1908 erster afro-amerikanischer Boxweltmeister im Schwergewicht wurde und dessen Siege sowie angeberischer Lebenswandel vielen Afro-Amerikanern angesichts ihrer Unterdrückung und Missachtung Genugtuung bereitete12). Wie Jack Johnson wurde auch Miles Davis zu einer Symbolfigur „schwarzen“ Stolzes.13) Anfang der 1970er Jahre war er 45 Jahre alt, legte großen Wert auf seine körperliche Fitness14) und kämpfte um ein junges Publikum, das Rock und Funk hörte. Dazu näherte er seine Musik den Vorlieben dieser Hörer an und sein Trompetenspiel wurde dabei oft so kraftvoll und aggressiv, dass es seine Gewandtheit und Schlagkraft als Boxer auszudrücken schien.

Davis hatte schon viele Jahre davor zu boxen begonnen15), und zwar in Folge von persönlichen Erfahrungen, die auch die gesellschaftliche Situation des Jazz widerspiegeln: Als 23-Jähriger kam er nach Paris, wo er Künstler und Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre und Pablo Picasso kennenlernte. Ihre Wertschätzung, die im Kontrast zur Missachtung in den USA stand, sowie eine Liebesbeziehung zur Sängerin Juliette Gréco ließen ihn auf einer Wolke schweben, von der er durch seine Rückkehr nach Amerika in anhaltende Traurigkeit und kurz darauf in eine vier Jahre lang bestandene Heroinsucht abstürzte.16) Durch andere, aber auch durch sein eigenes Verhalten erfuhr er in diesen vier Jahren der Drogenabhängigkeit eine schwere Demütigung, die ein grundlegendes Misstrauen hinterließ.17) Es war vor allem das Vorbild von Boxern, an dem er sich bei seiner Befreiung von der Sucht orientierte. „Ich hab jede Bewegung von Ray [Sugar Ray Robinson, Box-Weltmeister] studiert, ich verehrte ihn. Als ich ihm einmal erzählte, dass ich vor allem seinetwegen mit dem Heroin aufgehört hatte, grinste er nur […] Er erzählte jedem, dass ich ein toller Musiker sei, der gerne Boxer wäre […] Er war gern mit Musikern zusammen, weil er selber Schlagzeug spielte. […] Ich spreche so viel über Sugar Ray, weil er 1954 für mich – neben der Musik – die größte Rolle spielte. Ich verhielt mich wie er, weißt du, ich nahm sogar seine arrogante Haltung an. Ray war kalt, er war der Beste, er war alles, was ich 1954 sein wollte.“18) In Davis' Musik war von der Härte des Boxens jedoch damals und in der gesamten Zeit seiner berühmten Aufnahmen bis 1969 kaum etwas zu hören. Sein Trompetenspiel ist vielmehr gerade wegen seines lyrischen, sensiblen, introvertierten, oft etwas melancholischen Charakters und seiner selbstbewussten Kultiviertheit bis heute beliebt.

Miles Davis ärgerte sich im Jahr 1956 über die Unzuverlässigkeit des damals drogensüchtigen Tenor-Saxofonisten John Coltrane in seiner Band, schlug ihm ins Gesicht und boxte ihm in den Bauch. Coltrane ließ diese Misshandlung ohne Widerstand über sich ergehen. Diese Wehrlosigkeit hing wohl auch mit seiner Drogensucht zusammen, war vor allem aber Ausdruck seines friedfertigen Wesens.19) Dabei stand Coltranes Entschlossenheit und Energie der von Davis keineswegs nach. Er befreite sich im Jahr 1957 mit derselben Willensanstrengung von seiner Drogensucht wie ein paar Jahre zuvor Davis – ohne sich an Boxern zu orientieren. Vielmehr erlebte er den damaligen Neubeginn als eine „spirituelle Erweckung“, die seine weitere Entwicklung stark beeinflusste.20) In der Musik ergänzte Coltrane das lyrische, sparsame Spiel von Davis gerade durch seinen kraftvollen, drängenden, vehementen Ausdruck, den er später in seiner eigenen Band noch wesentlich steigerte, besonders im Zusammenspiel mit dem Schlagzeuger Elvin Jones.21) „Die erste Nacht, als Elvin in der Band war, spielte er so laut und kraftvoll, dass du ihn draußen einen Häuserblock weit hören konntest. Aber das war es, was Trane [Coltrane] haben wollte. Er wollte einen Drummer, der richtig loslegte, und Elvin war einer der stärksten, wildesten Drummer der Welt.“22) Elvin Jones gab sich damals exzessiv Schnaps, Heroin und Sex hin. „Wenn ihn etwas erzürnte, verließ er den Bandstand, riss sich unterwegs das Hemd vom Leib, stürzte an der Bar einen dreistöckigen Gin hinunter und stürmte hinaus in die eisige Kälte einer Winternacht, wo die Dampfwolken von seiner nackten Brust aufstiegen … Ein Gast, der sich zu laut unterhielt, wurde eines Nachts beinahe geköpft, als Elvin ein Becken von seinem Ständer riss und in seine Richtung schleuderte. Es verfehlte den Ruhestörer nur um Haaresbreite.“23) Nachdem er Coltranes Auto zu Schrott gefahren hatte, sagte Coltrane nur: „Ein Auto kriege ich immer wieder, aber es gibt nur einen Elvin.“24) Elvin Jones kraftstrotzendes, zugleich komplexes, kunstvolles Schlagzeugspiel bildete den idealen Gegenpart zu Coltranes überschäumenden Improvisationen. Zusammen deckten sie mit ihrer Vehemenz die beiden anderen Mitglieder des Coltrane-Quartetts oft akustisch zu, obwohl der Pianist McCoy Tyner selbst aufgrund seines mächtigen Ausdrucks mit einem „brüllenden Löwen“25) verglichen wurde. Über die Zeit der letzten beiden Lebensjahre Coltranes erzählte der Schlagzeuger Rashied Ali: „Coltrane spielte ständig in der Garderobe, vor dem Auftritt, wie ein Boxer, der schweißüberströmt von den Aufwärmübungen in der Garderobe in den Ring klettert. Er hat es genauso gemacht. Er spielte und spielte und spielte. Und wenn er dann schweißgebadet auf die Bühne kam, dann hatte er so viel Energie. Ich weiß nicht, woher er sie genommen hat.“26) Der Vergleich Coltranes mit einem Boxer widerspricht seiner Friedfertigkeit und seinem spirituellen Anliegen, aber in gewisser Hinsicht ist dieser Widerspruch ein zentrales Thema seiner Musik. Der von Coltrane geschätzte27) indische Sitarspieler Ravi Shankar sagte über ihn: „Seine Musik beunruhigte mich sehr. Hier war eine kreative Persönlichkeit, ein Mensch, der Vegetarier geworden war, Yoga studierte und das Bhagavad-Ghita las, in dessen Musik ich aber dennoch viel Aufruhr hörte. Ich konnte es nicht verstehen.“28) Als Shankar Coltranes letzte Platte erhielt, fand er sie „überaus beunruhigend“ und machte sich Sorgen um ihn.29) Der Jazz-Kritiker John Litweiler fand, dass vor allem Coltranes letzte, „freieste” Aufnahmen zeigen, „was seinen schöpferischen Geist in Gang hielt: Obwohl es keine Zwänge mehr gibt, bleibt sein Weg dennoch einer des Konflikts, endlos und exaltiert. Und die Konflikte von John Coltranes Musik, der innere Aufruhr des Lebens, erwiesen sich als kommunikativer als sämtliche anderen musikalischen Aussagen der Free-Jazz-Ära.“30) Gerade die widersprüchliche Verbindung von Coltranes rastloser Energie mit seinem Streben nach spirituellem Frieden macht seine Musik zu einem so beeindruckenden Abbild grundlegender Lebensaspekte. Dem Gitarristen Carlos Santana wurde unter anderem durch Coltranes Platte A Love Supreme „etwas Paradoxes an der Musik klar, nämlich, dass sie wild und friedlich zugleich sein kann.“31)

Ob in dieser ernsthaften Art Coltranes oder in einer unbedachteren, spielerischen Form: Es finden sich im Jazz viele Verbindungen widersprüchlicher Wesenszüge32) – zum Beispiel Miles Davis' Kultiviertheit und Sensibilität einerseits und seine Boxer-Identität und Angeberei andererseits; Dizzy Gillespies lustige, lockere Art einerseits und seine Begeisterung fürs Boxen und die Schnelligkeit, mit der er mit dem Messer zustechen konnte33), andererseits; Louis Armstrongs Ausdruck von Menschlichkeit und Wärme einerseits und seine Unerbittlichkeit gegenüber Konkurrenten34) sowie seine Wertschätzung etwa für den Spieler, Zuhälter und Schläger Black Benny35) andererseits; die Freundlichkeit Eric Dolphys im persönlichen Umgang, die ihn regelrecht als Heiligen erscheinen ließ36), einerseits und die aggressive Schärfe seines Stils als Saxofonist andererseits; Steve Colemans leichtes, helles Spiel und sein Streben nach einer Art Erhebung zu einer höheren Form des Menschseins, die an Coltranes Weg anknüpft37), einerseits und seine Vorliebe für das Boxen andererseits.

Boxen ist ein brutaler Kriegerkult – egal, ob man darüber hinwegsieht oder sich daran stößt. Die Affinität vieler Jazz-Musiker zum Boxen lässt sich oft mit ihrer Herkunft aus einem rauen Umfeld erklären.38) Der Einfluss des Boxens macht ihre Musik jedoch nicht unmenschlich oder primitiv. Was sie am Boxen anzieht, ist ja nicht die Gewalt, sondern die Fähigkeit, in der Kampfsituation geschickt zu agieren. Darin kann eine ursprüngliche, körperbezogene Form von Lebenstüchtigkeit gesehen werden. Dieser Aspekt des Boxkampfs findet sich in einer harmlosen Form im Jazz wieder. Die Musik abstrahiert die Aggression des Kampfes und transformiert sie in Energie und Intensität und ermöglicht damit ein kooperatives Spiel mit dem Bewegungsgefühl des Körpers, ohne dass die „Beats“ (Schläge) jemanden verletzen. So ist die Musik von Anhängern des Boxsports im Bereich des Jazz keineswegs härter als etwa die des friedliebenden Coltrane oder des „Heiligen“ Eric Dolphy.

 

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  1. QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 221f.
  2. Miles Davis: „[...] Mehr Platten hatte ich nicht. Aber Dizzy [Gillespie] war mein Vorbild. Ich versuchte immer wieder, jedes einzelne Solo von Diz auf diesem Album nachzuspielen. Wie gesagt, Dizzy war damals mein Vorbild, aber Clark Terry, Buck Clayton, Harold Baker, Harry James, Boby Hackett und Roy Eldrige fand ich auch nicht schlecht. Später wurde dann Roy zu meinem großen Vorbild auf der Trompete. Aber 1944 war es Diz." (QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 7)
  3. Album: Charlie Parker Quintet, Jazz at Massey Hall (1953)
  4. QUELLE: Peter Niklas Wilson/Ulfert Goeman, Charlie Parker. Sein Leben. Seine Musik. Seine Schallplatten, Oreos Verlag, 1988, S. 167
  5. Er verbrachte als Junger viel Zeit im Boxteam der Schule und war dann auch in einem Boxteam der Armee. (QUELLE: Jeff Helgesen, Kenny Dorham Biography, Internet-Seite all about jazz, Adresse: http://www.allaboutjazz.com/php/musician.php?id=6362)
  6. Er war vor seiner Laufbahn als Musiker Boxer (QUELLE: engl. Wikipedia). In den 1950er Jahren spielte er bei Miles Davis, der über ihn sagte: „Red hatte diesen leichten Anschlag, den ich auf dem Klavier haben wollte. Er stammte aus Texas und gefiel mir, weil er hip war und auch auf Boxen stand.“ (QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 232)
  7. Hans J. Schaal: „Später sammelte er Erfahrung als Boxer (seine erste Platte hieß The Champ) und schlug einmal den Bop-Sänger Babs Gonzalez im Streit k.o. [...] Jimmy Smith ist […] Träger des schwarzen Shotokan-[Karate]-Gürtels.“ (QUELLE: Hans J. Schaal, Helden der Hammond. Eine Heimorgel und ihre Erlösung (2004), Internet-Adresse: http://www.hjs-jazz.de/?p=00124)
  8. Der Boxtrainer von Miles Davis sagte über ihn: „Selbst mit 43 agiert er noch wie mit 25. Er ist schnell, er hat Reflexe – und er kann wie ein Schachspieler die nächsten Züge voraussehen.“ (QUELLE: Ian Carr, Miles Davis. Eine kritische Biographie, 1985, S. 193) – „Oftmals bestätigen ihm [Miles Davis] Experten, dass er wegen seines enormen Talents auch in diesem Metier [Boxen] zu einem Champion geworden wäre.“ (QUELLE: Peter Wießmüller, Miles Davis. Sein Lebn. Seine Musik. Seine Schallplatten, Oreos Verlag, 1988, S. 75)
  9. QUELLE: Ian Carr, Miles Davis. Eine kritische Biographie, 1985, S. 193
  10. QUELLEN: Joachim-Ernst Berendt, „Exposition“ für eine Exposition, in: Klaus Wolbert [Hrsg.], That's Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts, 1988, S.„XIV; Ian Carr, Miles Davis. Eine kritische Biographie, 1985, S. 193
  11. Album A Tribute To Jack Johnson – Miles Davis: „Mir schwebte bei der Musik eine typische Boxerbewegung vor, der Shuffle, bei dem dieses schlurfende Geräusch entsteht. Es hört sich beinahe wie Tanzschritte an oder wie der Klang eines Zuges […] dieser Rhythmus der Räder auf den Gleisen, dieser plop-plop, plop-plop, plop-plop-Sound […] Wenn ein Schwergewichtler auf dich zugeht, dann ist das wie ein Zug. – Beim Komponieren dieser Musik tauchten weitere Fragen auf: Ist die Musik schwarz genug? Hat sie einen schwarzen Rhythmus? Würde Jack Johnson dazu tanzen?“ (QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 376)
  12. Jack Johnsons Siege entfachten Rassenunruhen. Vor einem seiner Kämpfe wurde ihm in einem Brief gedroht: „Fall morgen um oder wir hängen Dich auf – Ku-Klux-Klan!“ (QUELLE: Peter Wießmüller, Miles Davis. Sein Lebn. Seine Musik. Seine Schallplatten, Oreos Verlag, 1988, S.„180f.). Er fuhr schnelle Autos (starb letztlich auch daran), umgab sich mit Frauen – auch mit „weißen“ – und führte auch sonst einen Lebensstil, der für „Schwarze“ als unangemessen und provokant empfunden wurde. Wegen seiner Beziehungen zu „weißen“ Frauen wurde er sogar angeklagt und er floh daraufhin nach Europa. (QUELLE: Wikipedia)
  13. Berendt: „In der schwarzen Welt – vom Kongo und Guinea bis Jamaika und Harlem – begannen stolze Eltern ihre Söhne mit dem Vornahmen Miles – oder gar Miles Davis – zu taufen.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 139)
  14. QUELLE: Ian Carr, Miles Davis. Eine kritische Biographie, 1985, S. 193
  15. Miles Davis war bereits als Jugendlicher am Boxen interessiert: „Bevor ich in die Musik einstieg, interessierte ich mich nur für Sport – Baseball, Football, Basketball, Schwimmen und Boxen. [...] Boxen war und ist meine große Leidenschaft. Ich steh drauf. Ich kann es nicht erklären. Wie alle verfolgte ich jeden Kampf von Joe Louis. Wir drängten uns ums Radio und warteten darauf, dass uns der Sprecher wieder mal einen K.o.-Sieg von Joe Louis beschrieb. Und wenn das passierte, rastete die ganze schwarze Gemeinde von East St. Louis völlig aus, feierte den Sieg in den Straßen, trank, tanzte und machte einen Höllenlärm.” (QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 21f.)
  16. Miles Davis über seine Zeit in Paris und danach: „ Es war wie ein Zauber, fast, als wäre ich hypnotisiert, als wäre ich in Trance. Sowas war mir noch nie passiert. Ich war immer so mit Musik beschäftigt, dass ich nie Zeit für irgendwelche Romanzen hatte. […] Ich blieb ein oder zwei Wochen, verliebte mich in Juliette und Paris und dann ging ich wieder. Es war ein trauriger Abschied […] ich war so deprimiert, wieder in dieses Land [USA] zurückzukommen, dass ich im Flugzeug kein Wort rausbrachte. Ich hatte nicht geahnt, dass mich das alles so treffen würde. Ich war so deprimiert und als ich wieder in den Staaten war, hing ich plötzlich an der Nadel, noch bevor es mir selbst richtig klar war. Es sollte vier Jahre dauern, bis ich davon loskam. Zum ersten Mal in meinem Leben verlor ich jede Kontrolle und steuerte im rasenden Tempo auf den Tod zu.“ (QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 152f.)
  17. Miles Davis: „Ich vertraute kaum jemandem mehr [ …] Mein Misstrauen gehörte zu meiner Haltung“. (QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 220) – Ian Carr: „Die vier Jahre der Drogenabhängigkeit hatten furchtbare Narben hinterlassen und die Auswirkung dieser Erfahrung auf Miles späteres Leben und Wirken kann gar nicht überschätzt werden […] Miles Davis ist immer ein stolzer Mann gewesen und er hat über die Demütigungen, die er in dieser Periode erleiden musste, kaum einmal ein Wort verloren, doch muss ihn das Wissen um seine Schande und um die Erniedrigung, die er hinzunehmen hatte, mit Entsetzen erfüllt haben.“ (QUELLE: Ian Carr, Miles Davis. Eine kritische Biographie, 1985, S. 65)
  18. QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S.„223f.
  19. QUELLE: Ashley Kahn, A Love Supreme, dtsch., 2005, S.„53
  20. John Coltrane: „Im Laufe des Jahres 1957 erfuhr ich durch Gottes Gnade eine spirituelle Erweckung, die mich zu einem reicheren, volleren und produktiveren Leben führen sollte.“ (QUELLE: J.C. Thomas, Chasin’ The Trane, dtsch., 1986, S. 70)
  21. Ab dem Auftritt der Band im Village Vanguard im Jahr 1961 „zog sich McCoy Tyner [Pianist] selbst mehr in den Hintergrund zurück, während Coltranes Soli immer länger und Jones Schlagzeugspiel immer lauter wurden. Das Quartett war auf dem Weg, ein Duo zu werden […] John und Elvin deckten McCoy Tyner und Jimmy [Bassist] oft bis an die Grenze der Unhörbarkeit zu.“ (QUELLE: J.C. Thomas, Chasin’ The Trane, dtsch., 1986, S. 118)
  22. QUELLE: Steve Davis, zitiert in: J.C. Thomas, Chasin’ The Trane, dtsch., 1986, S.„103
  23. QUELLE: J.C. Thomas, Chasin’ The Trane, dtsch., 1986, S.„125
  24. QUELLE: J.C. Thomas, Chasin’ The Trane, dtsch., 1986, S.„105
  25. Bill Cole: „McCoy Tyner spielt Klavier wie ein brüllender Löwe“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt, Ein Fenster aus Jazz, 1977, S. 75). – Berendt: „Pianisten rätseln darüber, wie McCoy Tyner so viel Kraft aus dem Klavier herausschlägt. Cecil Taylor tut es ähnlich, aber der spielt freitonal, da ist es leichter. Andere Pianisten können noch so laut auf die Tasten schlagen, es klänge gleichwohl nur halb so machtvoll wie bei McCoy Tyner.“ (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt/Günther Huesmann, Das Jazzbuch, 1989, S. 376)
  26. QUELLE: Dokumentarfilm The World According To John Coltrane, Robert Palmer, Toby Byron, dtsch., 1990
  27. Coltranes Sohn Ravi ist nach Ravi Shankar benannt. Ravi Coltrane ist selbst ein bedeutender Tenor-Saxofonist.
  28. QUELLE: J.C. Thomas, Chasin’ The Trane, dtsch., 1986, S.„154
  29. QUELLE: J.C. Thomas, Chasin’ The Trane, dtsch., 1986, S.„167
  30. QUELLE: John Litweiler, Das Prinzip Freiheit, 1988, S.„87
  31. QUELLE: Ashley Kahn, A Love Supreme, dtsch., 2005, S.„206
  32. Diese Widersprüche werden zu einem guten Teil durch das Umfeld verständlich, aus dem die Musiker stammten und in dem sich der Jazz überwiegend abspielt(e).
  33. Dizzy Gillespie trieb als junger Musiker in der Big Band von Cab Calloway hinter dessen Rücken seine Späße. Calloway ärgerte sich oft und holte einmal im Streit mit der Hand aus, um Dizzy Gillespie zu schlagen. Milt Hinton: „Dizzy drehte sich blitzschnell um und hatte sein Messer in der Hand. Ich lenkte es ab, sonst hätte er ihn wahrscheinlich in Stücke geschnitten. Es war ihm wirklich ernst. Cab war am Oberschenkel verletzt, aber alles war so schnell gegangen, dass er gar nichts gespürt hatte.“ (QUELLE: Milt Hinton, zitiert in: Dizzy Gillespie, To Be Or Not To Bop. Memoiren, dtsch., 1984, S. 103)
  34. Siehe dazu im Artikel Umarmung: Link
  35. Louis Armstrong: „Benny war wirklich ein prachtvoller Bursche, einer der besten Schlagzeuger, die wir in New Orleans hatten […] Wirklich ein großartiger, mutiger Kerl. Er suchte mit niemandem Streit, aber – um Himmels willen! – man tat besser daran, ihm nicht zu nahe zu kommen […] Er war groß, 26 Jahre alt und hatte eine schöne, matt glänzende dunkle Haut […]“ – Ein Mann namens Nicodemus geriet in einer Kneipe bei einem Spiel mit Black Benny in Streit und wurde von ihm niedergeschlagen. Nicodemus rannte davon, um seine Pistole zu holen. Black Benny blieb cool, er brauchte seine Pistole nicht. Er fand in einer Seitengasse ein Eisenrohr, versteckte sich und als sein Gegner zurückkam, schlug er ihm mit dem Eisenrohr ins Gesicht, sodass der für den Rest seines Lebens gezeichnet war. Armstrong: „Das Gute an diesen Streitereien war: Wenn sie einmal ausgetragen waren, dachte keiner mehr daran […] Der Bessere gewann und damit basta.“ (QUELLE: Louis Armstrong, Mein Leben in New Orleans, 1977, S. 71f.)
  36. John Litweiler: „Jeder mochte Eric Dolphy […] Immer wieder liest man in den Berichten über sein Leben von seiner Güte und Hilfsbereitschaft; Freunde und Musikerkollegen schildern ihn als gütig, großzügig, sanft, mitfühlend und, immer wieder, als bescheiden.“ Für Charles Minus war er „ein Heiliger“. (QUELLE: John Litweiler, Das Prinzip Freiheit, 1988, S. 49f.)
  37. Steve Coleman: „Ich möchte nicht schmalzig wirken, aber ich denke, dass der Zweck menschlicher Wesen ein höherer ist, als umher zu gehen und einander auf den Schädel zu hauen. Ich denke, dass diese Musik einen über diese Dinge nachdenken lässt und dass sie die Saat pflanzt, denn alles beginnt mit Schwingungen. Sie pflanzt die Saat für ein Wachsen zu einer höheren Verwirklichung dessen, was wir sind. Das ist es, was ich letztlich mit dieser Musik anstrebe. Ich fühlte, dass all die Leute, die erfolgreich wurden – egal ob es Beethoven, Bartok, Charlie Parker oder wer auch immer war, gleichgültig in welchem Stil und in welcher Kunst – nach dieser bestimmten Sache gestrebt haben. […] Es ist etwas, das schwer erfassbar ist. Es ist gewöhnlich nicht sofort offensichtlich. Es ist etwas, das in der Zeit, in der es geschaffen wird, von den Zeitgenossen normalerweise nicht im gleichen Licht gesehen wird, wie man es später zu sehen lernt. Es ist etwas, das gewaltig ist, so wie Coltranes Musik […]“ (QUELLE: von Fred Jung geleitetes Interview mit Steve Coleman, Juli 1999, My Conversation With Steve Coleman, Internet-Adresse: http://m-base.com/interviews/my-conversation-with-steve-coleman/, betreffende Stelle in eigener Übersetzung: Link)
  38. Louis Armstrong wuchs in einem Armenviertel von New Orleans auf, in dem Gewalt und Kriminalität nichts Ungewöhnliches waren. – Dizzy Gillespie wurde nach seiner Erzählung als Kind jeden Sonntagmorgen von seinem Vater verprügelt, ohne dass sich dieser auf einen Grund bezog. (QUELLE: Dizzy Gillespie, To Be Or Not To Bop, dtsch., 1984, S. 3). Miles Davis war als Kind „klein, dürr und schwarz“, wie er selbst sagte, und wurde von seiner Mutter „bei der geringsten Kleinigkeit verdroschen“. Schon früh war er sportbegeistert, „vernarrt ins Boxen“ und wehrte sich unerschrocken seiner Haut (QUELLE: Miles Davis/Quincy Troupe, Die Autobiographie, 1993, S. 21-31). Afro-amerikanische Musiker erlebten außerdem schon als Kind Rassismus und rassistische Gewalt. Das Jazz-Business war weitgehend in der Hand von Gangstern. Nachdem zum Beispiel einer der Besitzer des berühmten Jazz-Klubs Birdland (selbst ein Gangster) vor dem spielenden Woody-Hermann-Orchester umgebracht wurde, wollte es keiner der 18 Musiker gesehen haben (QUELLE: Joachim-Ernst Berendt, Ein Fenster aus Jazz, 1977, S. 409f.). Dizzy Gillespie erzählte Folgendes: Er und Charlie Parker gehörten als junge Musiker der Band von Earl Hines an. In einer Pause spielte Gillespie am Klavier vor sich hin. Da warf ein „Weißer“ ein paar Pennies auf die Bühne. Gillespie ignorierte es. Später ging er auf die Toilette. Als er wieder heraus kam, schlug ihm dieser „Weiße“ mit einer Flasche auf den Kopf, dass ihm das Blut über den Anzug spritzte (QUELLE: Dokumentarfilm Celebrating Bird: The Triumph Of Charlie Parker, Co-Produzent Gary Giddins, dtsch. Version, 1987). Ab den 1940er Jahren waren viele Jazz-Musiker drogenabhängig, damit den kriminellen Dealern ausgeliefert und zu allem bereit, um das erforderliche Geld für Drogen aufzubringen. „Auch die Beziehungen der Musiker untereinander veränderten sich. […] Während der Rassentrennung gab es ein regelrechtes Netzwerk von schwarzen Familien, bei denen schwarze Musiker übernachten konnten. Das hörte damals auf, weil die Musiker die Leute beklauten und einen schlechten Einfluss ausübten. Auch die Musiker selbst wurden härter und vorsichtiger.“ (QUELLE: Film Jazz von Ken Burns, Episode 9, Abschnitt The Dope).

 


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