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Steve Coleman über sein Verständnis der Clave


Der gesamte Rhythmus könne als Melodien oder vergleichbares melodisches Material gedacht werden und die Clave sei Teil der Melodie, und zwar ein „Schlüssel“1)-Part. Sie diene einem ähnlichen Zweck wie der Cantus Firmus2) in der alten europäischen Musik und auch ein wenig wie ein Ostinato in der modernen Musik. Darüber hinaus gebe die Clave den Schlüssel für die Gestalt des Rhythmus vor und erübrige Konzepte wie Taktangaben und so weiter. Er verwende die Clave in einer etwas anderen Weise, als sie traditionell verwendet wird. Da er normalerweise Kombinationen von Rhythmen mit unterschiedlichen Zeitspannen (Längen) verwende, seien die Clave-Rhythmen in seiner Musik nur für eine dieser Zeitspannen ein direkter Schlüssel, für die anderen Zeitspannen hingegen nur ein indirekter Schlüssel über ein proportionales Verhältnis. Es sei ein wenig schwierig, das zu erklären, aber er gehe auf dieses Thema in seinem Video-Paket „PolyRhythmic Signatures“3) näher ein.4)

Heute gebe es Lead-Sheets5) mit Akkord-Angaben. Früher einmal habe der Cantus Firmus diese Funktion erfüllt, indem er die Grundlage bildete, auf der der Rest der Komposition aufgebaut wurde. Es sei allerdings durchaus möglich, dass der Cantus Firmus nur die Logik lieferte, auf der die polyphone Komposition aufgebaut wurde, und dass diese Logik von verschiedenen Komponisten unterschiedlich aufgefasst werden konnte. Daher konnten zwei Komponisten sehr unterschiedliche Komposition auf demselben Cantus Firmus aufbauen. Tatsächlich habe das auch ein Komponist alleine tun können. Zum Beispiel habe Johann Sebastian Bach unterschiedliche Kompositionen auf denselben Cantus Firmi aufgebaut, wobei diese entweder die Melodie eines Chorals oder ein Volkslied sein konnten. Viele Musiker der Tradition, aus der er kommt6), wie zum Beispiel Charlie Parker, komponierten viele Songs anhand der Akkordfolgen bestehender Songs. So waren all die Kompositionen, die auf Rhythm-Changes beruhten, zwar nicht auf der Melodie der Komposition I Got Rhythm aufgebaut, aber auf deren zugrundeliegenden Akkordfolgen, das heißt auf den zugrundeliegenden tonalen Implikationen der Melodie.

Genau dasselbe gelte für die Clave. Viele Kompositionen könnten auf der Grundlage ein und derselben Clave komponiert oder spontan komponiert werden. Aber genau wie beim Cantus Firmus, könnten auch die zugrundeliegenden Implikationen der Clave (wie auch immer sie vom jeweiligen Musiker verstanden werden) die Grundlage oder der Schlüssel für die Komposition sein. Er sehe die Clave als eine Art Schlüsselmelodie und betrachte die Implikationen dieser Melodie als ein Quellenmaterial für weitere Kompositionen. Es gebe viele Arten, sich auf die zugrundeliegenden Implikationen einer Melodie oder eines Rhythmus zu beziehen, und es hänge davon ab, was man für ein Konzept hinsichtlich der Betrachtung von Melodie und Rhythmus hat. Er neige dazu, die kleineren Zellen zu betrachten, die eine Melodie oder einen Rhythmus bilden. Er betrachte, wie sich diese Zellen auf ihre Umgebung beziehen, wie sie hinsichtlich ihrer Bewegung funktionieren, in welcher Weise sie sich weiterbewegen können und so weiter. Beim Rhythmus betrachte er insbesondere, wie die rhythmischen Figuren miteinander interagieren, wobei es für ihn keine Rolle spiele, ob die rhythmischen Figuren viel an unterschiedlicher tonaler Information enthalten oder nicht. Er betrachte Rhythmen immer als Rhythmen, auch wenn er die tonale Information ebenfalls beachtet.

Er nehme die zeitlichen und tonalen Formen von musikalischen Figuren durch den Sinneseindruck, also mit seinem Gefühl wahr, nicht durch Zählen. Er habe sich das Empfinden dieser Formen selbst beibringen müssen und nur durch Wiederholung (durch das, was man „üben“ nennt) Flüssigkeit erlangt. Auch kompliziertere Rhythmen, wie zum Beispiel Doug Hammonds Drum-Chants, gehe er auf dieselbe Weise an. Sie würden bloß mehr Übung erfordern. Jede Figur enthalte eine Information über den zeitlichen Aspekt. Das gelte selbst für das Sprechen. Es sei Aufgabe des Musikers, diese Information so zu entziffern, dass sie verwendet werden kann. Er neige dazu, stets den zeitlichen Aspekt zu beachten, doch könne er nur verwenden, was er bereits internalisiert hat, und der größte Teil seines Übens bestehe darin, verschiedene Arten, die Dinge zu fühlen, zu internalisieren. Zum Beispiel seien viele der Figuren, die er beim Improvisieren hervorbringt, nicht das, was er mit Bleistift und Papier nach seinen Vorstellungen entwerfen würde. Er könne wesentlich anspruchsvollere Figuren erreichen, indem er zunächst improvisiert und sie später ausschmückt. Das sei bereits seit vielen Jahren seine grundsätzliche Herangehensweise. Dabei gehe er immer zurück, um die Wirkung dessen zu betrachten, was zum Erklingen gebracht wurde, und arbeite dann damit.

Was Charlie Parker und andere machten, weise gewiss auf ein leicht modifiziertes Konzept der Clave hin, das in ihrem kulturellen Kontext Sinn machte. Nachdem die Trommeln [während der Sklaverei in Nordamerika] weggenommen worden waren, mussten zwangsläufig andere Verständnisse dieser Ideen entwickelt werden. Der Hauptunterschied zwischen den US-afro-amerikanischen und den anderen Traditionen der Diaspora bestehe darin, dass das Clave-Konzept beweglicher wurde.

Es gehe mehr um das, was die Clave impliziert, als um die tatsächliche Clave selbst. In seiner Musik würden die unterschiedlich langen Figuren nach wie vor zeitliche und tonale Beziehungen implizieren, die über ihre tatsächliche zeitliche Position hinausreichen. Mit diesen Implikationen arbeite er. Wie in einem Gespräch, so könne man Figuren mit unterschiedlichen Längen haben, die nach wie vor in sehr spezifischer Weise miteinander sprechen, und bei diesem Gespräch gehe es mehr um das, was von der jeweiligen Figur impliziert wird, während ihr jeweiliger Kreislauf sie durch verschiedene zeitliche Beziehungen führt. Das sei alles ein wenig kompliziert, wenn man in Worten darüber spricht, doch könne er diese Dinge in der Sprache des Empfindens fühlen.7)

 

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  1. spanisch: Clave
  2. In der mittelalterlichen Kirchenmusik wurden zu Teilen der älteren, einstimmigen Gregorianischen Choräle ein oder zwei weitere Stimmen hinzu-improvisiert, sodass Mehrstimmigkeit entstand. Der feststehende Choral, an dem sich die improvisierten Stimmen orientierten, wurde als Cantus Firmus bezeichnet. Ein Cantus Firmus wurde später dann von Komponisten wie Johann Sebastian Bach auch in instrumentaler Musik verwendet.
  3. angeboten auf Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Internet-Adresse: http://m-base.net
  4. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Community Forum/Music/Rhythm/The Function of Clave, Beitrag Nr. 3265 vom 28. Juli 2014, Internet-Adresse: http://m-base.net
  5. Notenblätter nur mit Melodie, eventuell Text und Harmonien in Akkordsymbolschrift
  6. er vermied die Bezeichnung „Jazz“
  7. QUELLE: Steve Colemans Internetseite M-Base Ways, Community Forum/Music/Rhythm/The Function of Clave, Beitrag Nr. 3291 vom 31. Juli 2014, Internet-Adresse: http://m-base.net

 

 

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