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Bunky Green in Deutschland
Bunky Green …
Der 1935 geborene Alt-Saxofonist Bunky1) Green brachte sich das Saxofonspielen überwiegend durch Nachspielen der Meister, vor allem von Charlie Parkers Soli, selbst bei. Er erzählte: „Als ich 13 Jahre alt war, hörten wir Jungen in der Nachbarschaft alle die Musik von Charlie Parker. […] Einige Jungs in meinem Alter spielten in einer Band und sie erzählten mir von Charlie Parker. Ich hatte bereits mein Altsaxofon und eines Tages bemerkte ich, dass ich wirklich hören konnte, was er spielte. Ich hörte die Noten heraus und ich erzählte meiner Mutter: Mum, ich kann heraushören, was Charlie Parker spielt! Ich kann spielen, was er spielt! Danach saß ich nur noch da und tat, was man transkribieren nennt. Ich transkribierte alles und konnte Parker spielen – Note für Note.“2) Mit 16 Jahren spielte Green alle ihm bekannten Parker-Soli auswendig.3)
In den 1970er Jahre begann er mit einer Lehrtätigkeit, die ihn von der Tretmühle der vielen Auftritte als gefragter, aber dennoch schlecht verdienender Musiker der Chicagoer Szene befreite und es ihm ermöglichte, sich mehr auf die Entwicklung seiner Musik zu konzentrieren. Er sagte: „Wenn man ständig auftritt, dann spielt man mehr als man denkt […] man reagiert nur noch automatisch.“4) Neben seiner Lehrtätigkeit erarbeitete er sich ein (wie er sagte) „ganz neues Improvisationssystem“, mit dem er „auf äußerst überzeugende Weise eine Synthese von traditionellen und avancierten Materialelementen und Techniken“ (Ekkehard Jost)5) erreichte. Bunky Green erklärte später: „Ich bin mit der Musik von Charlie Parker aufgewachsen und ich lernte von Charlie Parker: Wenn ich Charlie Parker sein will, muss ich ganz anders sein als er. Über die Jahre habe ich dann meinen ganz eigenen Stil gefunden.“6) Der Saxofonist Joe Lovano sagte 1997: „Bunky Green personifiziert, um was es im Jazz geht. […] Er ist die Art von Musiker, die ich in meiner Musik immer zu sein anstrebte: in der Tradition verankert7) und darüber hinausgehend, durch Selbst-Expression.“8) – So ist Bunky Greens Spielweise trotz der wichtigen Einflüsse seiner Vorbilder sehr individuell, persönlich. Er entwickelt seine Soli spannend, organisch, bis zu leidenschaftlicher Dramatik und empfindet sie „als Gebete“9) – doch wirken sie nicht vordergründig „spirituell“.
Es gibt wenige Aufnahmen von Bunky Green. Ausgezeichnet dokumentiert ist seine Musik in dem von Steve Coleman produzierten Album Another Place (2004) mit Jason Moran (Klavier), Lonnie Plaxico (Bass) und Nasheet Waits (Schlagzeug). Green erzählte über die Zusammenarbeit mit diesen jüngeren Musikern: Normalerweise habe er seine eigene Band oder spiele zumindest mit Leuten zusammen, die „stilistisch überwiegend – sagen wir – klassische Musik10) spielen. Wir gehen also alle von der Kenntnis desselben Materials aus und brauchen daher nicht groß zu proben. […] Bei meiner letzten CD waren jedoch Nasheet Waits und Jason Moran dabei und sie sind freiere Musiker. […] Das erstaunliche war, dass sie mich dazu brachten, anders zu spielen und – ich denke – frischer. Deshalb will ich mit jungen Leuten zusammen sein, denn wenn ich aufhöre zu lernen und mich wie ein Lehrer fühle, der alles weiß, dann bin ich am Ende.“11)
Erst durch Hinweise von Steve Coleman und Greg Osby auf Bunky Green als wichtigen Einfluss wurde Green bekannter. Der italienische Saxofonist Stefano di Battista kniete sich bei einem gemeinsamen Konzert im Jahr 2008 vor Bunky Green hin und küsste ihm die Hand12) – ein überschwänglicher Ausdruck der Hochachtung.
… in Deutschland
Im Jahr 2007 spielte Bunky Green erstmals in Deutschland13) und Aufnahmen davon wurden im Fernsehen übertragen.14) Enttäuschend war allerdings, dass nur der Schlagzeuger Nasheet Waits von der Band des erwähnten Albums Another Place dabei war und ansonsten zwei deutsche Musiker15) mitwirkten, die nicht ideal mit Green und Nasheet Waits harmonierten, sondern sperrig und steif wirkten. Die Bassistin erzählte: Der künstlerische Leiter des Festivals hatte sie als Begleiterin von Green bereits ausgewählt, bevor er Green zum Konzert einlud, und sie wählte den Pianisten aus. Sie sagte, dass sie und der Pianist einerseits und Green mit seinem Schlagzeuger andererseits „aus einer ganz anderen musikalischen Kultur“ kamen. Sie und der Pianist kämen beide von der Klassik her und hätten eigentlich nur im Studium die Sachen der Jazz-Tradition gespielt, während Green aus dieser Tradition kommt – „und das ist natürlich ein vollkommen anderer Background“.
Das eigenmächtige Zusammenwürfeln von Bands durch Konzertveranstalter, mit dem sie einheimische Musiker mit amerikanischen zusammenbrachten und Kosten sparten, war schon seit Langem üblich. Im Jahr 1993 sagte ein Interviewer zu Steve Coleman, es könne doch aufregend sein, „relativ fremde Musiker relativ spontan miteinander improvisieren zu lassen“. Coleman antwortete: „Das sagst du, weil du in Europa lebst und weil es hier so üblich ist. Ich finde aber, dass das Publikum bei euch übers Ohr gehauen wird. Als würde man jemandem eine billige Rembrandt-Kopie vertickern, weil er keine Ahnung von Kunst hat. Ich empfinde das schon seit Langem so und inzwischen sind es nicht nur die Festivalmacher, die so planen: jetzt fangen auch die Musiker selbst an, spontane Jamsessions als Musik zu verkaufen, weil es für sie billiger und einfacher ist.“16)
Die Bevorzugung „heimischer“ Musiker mag mit der so genannten „Ausländersteuer“17) und mit Kürzungen staatlicher Subventionen gerechtfertigt werden18), doch schließlich ließe sich wohl auch das ohnehin überreiche Jazz-Konzertangebot zugunsten der Qualität ein wenig reduzieren. Häufig spielen offenbar andere Motive für das Verdrängen amerikanischer Musiker und das Zusammenwürfeln einzelner amerikanischer „Zugpferde“ mit heimischen Musikern eine Rolle. Bereits im Jahre 2004 erklärte der Jazz-Publizist Christian Broecking: „Die europäische Szene diskutiert ihre, nennen wir es mal, Emanzipation von den großen amerikanischen Vorbildern […] schon sehr lange. Allerdings mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Während die Festivalveranstalter in Elmau, Berlin und Münster […] sich wohl erst richtig verstanden fühlen, wenn keine amerikanischen Musikernamen mehr auf ihren Programmzetteln stehen, neigen die Musiker selbst eher zur Differenzierung.“19)
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- Sein Vorname ist eigentlich Vernice. Die Frage, wie er zum Namen Bunky kam, beantwortete er in einem Interview mit folgender Erzählung: Als Baby hatte er ein großes Häubchen auf und damals gab es in Comic-Heften einen Typen, der auch so ein großes Häubchen auf hatte und Bunky hieß. Eine Freundin von Greens Mutter sah ihn an und sagte: Oh mein Gott, er sieht aus wie Bunky aus der Zeitschrift. Der Name blieb ihm. (QUELLE: von Alan Bangs geführtes Interview mit Bunky Green anlässlich seines Konzertes im Rahmen des Jazz-Baltica-Festivals 2007, TV-Übertragung des Konzerts mit dem Titel Bunky Green Quartet, Gemeinschaftsproduktion der Fernsehsender ZDF, 3sat und NDR, Internet-Adresse eines YouTube-Videos davon: https://www.youtube.com/watch?v=o_QGBcMyw8w).
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QUELLE: von Alan Bangs geführtes Interview mit Bunky Green anlässlich seines Konzertes im Rahmen des Jazz-Baltica-Festivals 2007, TV-Übertragung des Konzerts mit dem Titel Bunky Green Quartet, Gemeinschaftsproduktion der Fernsehsender ZDF, 3sat und NDR, Internet-Adresse eines YouTube-Videos davon: https://www.youtube.com/watch?v=o_QGBcMyw8w
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QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, 2002, Band 1, S. 458 – Bunky Green sagte selbst: „Mit 16 Jahren konnte ich alles spielen, was Charlie Parker jemals aufgenommen hatte.“ (QUELLE: von Alan Bangs geführtes Interview mit Bunky Green anlässlich seines Konzertes im Rahmen des Jazz-Baltica-Festivals 2007, TV-Übertragung des Konzerts mit dem Titel Bunky Green Quartet, Gemeinschaftsproduktion der Fernsehsender ZDF, 3sat und NDR, Internet-Adresse eines YouTube-Videos davon: https://www.youtube.com/watch?v=o_QGBcMyw8w)
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Bunky Green, zitiert in: Ekkehard Jost, Jazzmusiker, 1982, S. 235
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QUELLE: Ekkehard Jost, Jazzmusiker, 1982, S. 235
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QUELLE: von Alan Bangs geführtes Interview mit Bunky Green anlässlich seines Konzertes im Rahmen des Jazz-Baltica-Festivals 2007, TV-Übertragung des Konzerts mit dem Titel Bunky Green Quartet, Gemeinschaftsproduktion der Fernsehsender ZDF, 3sat und NDR, Internet-Adresse eines YouTube-Videos davon: https://www.youtube.com/watch?v=o_QGBcMyw8w
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Bunky Green: „Ich sage den jungen Leuten, mit denen ich [als Lehrer] arbeite: Lasst uns etwas über die Vergangenheit lernen, damit wir genau wissen, was wir tun: Tonalität, richtige Akkordwechsel, wie man Akkorde auflöst. Lern zuerst die Grundlagen und danach könnt ihr spielen, was ihr wollt.“ Auf die Frage, welche Saxofonisten die Musik am meisten in eine neue Richtung gebracht haben, antwortete er: „Charlie Parker, John Coltrane und Ornette Coleman. Punkt.“ (QUELLE: von Alan Bangs geführtes Interview mit Bunky Green anlässlich seines Konzertes im Rahmen des Jazz-Baltica-Festivals 2007, TV-Übertragung des Konzerts mit dem Titel Bunky Green Quartet, Gemeinschaftsproduktion der Fernsehsender ZDF, 3sat und NDR, Internet-Adresse eines YouTube-Videos davon: https://www.youtube.com/watch?v=o_QGBcMyw8w)
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QUELLE: Biographie von Bunky Green auf der Internetseite All About Jazz, Internet-Adresse: https://musicians.allaboutjazz.com/bunkygreen, Quellenangabe: Artikel der Zeitschrift DownBeat aus 1997, eigene Übersetzung
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QUELLE: Martin Kunzler, Jazz-Lexikon, 2002, Band 1, S. 458
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Gemeint ist „klassische Jazz-Musik“, doch vermeidet Bunky Green offenbar das Wort „Jazz“.
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QUELLE: von Alan Bangs geführtes Interview mit Bunky Green anlässlich seines Konzertes im Rahmen des Jazz-Baltica-Festivals 2007, TV-Übertragung des Konzerts mit dem Titel Bunky Green Quartet, Gemeinschaftsproduktion der Fernsehsender ZDF, 3sat und NDR, Internet-Adresse eines YouTube-Videos davon: https://www.youtube.com/watch?v=o_QGBcMyw8w
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QUELLE: Konzert im Rahmen des Jazz-Baltica-Festivals 2008, TV-Übertragung des Konzerts mit dem Titel Bunky Green Group, Gemeinschaftsproduktion der Fernsehsender ZDF, 3sat und NDR, 2008, Internet-Adresse eines YouTube-Videos davon: https://www.youtube.com/watch?v=J0IFdrj3IO8, ab 46:58 Minuten/Sekunden
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auf dem Jazz-Baltica-Festival
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QUELLE: TV-Übertragung des Konzerts mit dem Titel Bunky Green Quartet, Gemeinschaftsproduktion der Fernsehsender ZDF, 3sat und NDR, Internet-Adresse eines YouTube-Videos davon: https://www.youtube.com/watch?v=o_QGBcMyw8w
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Bassistin Eva Kruse und Pianist Carsten Daerr
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QUELLE: Zeitschrift JazzThing, Nr. 1, November 1993, S. 25
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Die vom Europäischen Gerichtshof mehrfach in Frage gestellte so genannte Ausländersteuer dient in Deutschland und Österreich dazu, Künstler und Sportler im Auftrittsland Steuern zahlen zu lassen, statt wie sonst üblich am Wohnort. Rainer Haarmann (Künstlerischer Leiter des Jazz-Baltica-Festivals): „Normalerweise müssten die ausländischen Künstler [die Ausländersteuer] selbst in Deutschland an den Fiskus abführen, aber in der Realität trifft es immer die Veranstalter, weil Agenturen einen Auftritt ihres Künstlers davon abhängig machen, dass die Ausländersteuer nicht auf sie umgelegt wird.“ (QUELLE: Interview mit Rainer Haarmann, Zeitschrift JazzThing, Nr. 78, 2009, S. 68f.)
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Der künstlerischere Leiter des Jazz-Baltica-Festivals, Rainer Haarmann, erzählte von den Schwierigkeiten, mit denen er bei der Organisation des Festivals konfrontiert war: „Kultur im Allgemeinen und Jazz im Besonderen sehen sich einem schleichenden Schrumpfungsprozess ausgesetzt. Allein in den vergangenen Jahren [vor 2009] musste JazzBaltica eine Kürzung der Zuschüsse durch das Land Schleswig-Holstein von 20 Prozent verkraften. Das ist eine ganze Menge. Doch damit nicht genug. Durch die Reduzierung der öffentlichen Mittel ergab sich noch ein weitaus gravierenderes Problem. Die Befreiung des Festivals von der Ausländersteuer hängt nämlich unmittelbar mit den Finanzhilfen des Landes zusammen. In der gesetzlichen Regelung heißt es, dass unser Etat mindestens zu einem Drittel aus öffentlichen Geldern bestehen muss. […] Demzufolge waren wir gezwungen, nach den stetigen Kürzungen durch das Land auch unseren Etat überproportional nach unten zu fahren, um diese 33,3 Prozent halten zu können. […] Das ging sogar so weit, dass mir ein […] Förderer einmal eine erkleckliche Summe für einen namhaften Musiker anbot, ich das aber ablehnen und das Konzert platzen lassen musste, weil diese Unterstützung den öffentlichen Anteil am Gesamtetat unter die fragliche Grenze gedrückt hätte und wir für das ganze Festival Ausländersteuer hätten bezahlen müssen. Verrückt, oder?“ Haarmann sagte weiter zur Ausländersteuer: „Das ist eine ganz erhebliche Keule, unter der gerade der kleine Randbereich Jazz erheblich leidet – und das schon seit Jahren. Sie trägt dazu bei, dass vieles nicht mehr realisiert werden kann. Die Ausländersteuer befindet sich nach wie vor auf einem extrem hohen Niveau. Obwohl es Veränderungen bei den Durchführungsrichtlinien in einzelnen Bundesländern gab und der Europäische Gerichtshof sie mehrmals in Frage stellte, liegt die Abgabe nach wie vor bei rund 25 Prozent.“ (QUELLE: Interview mit Rainer Haarmann, Zeitschrift JazzThing, Nr. 78, 2009, S. 68f.)
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QUELLE: Artikel Aus der Not in die Tugend, Zeitung Die Tageszeitung, 29. Dezember 2004, Internet-Adresse: http://www.taz.de/index.php?id=archivseite&dig=2004/12/29/a0172
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