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Martin Pfleiderer forderte eine neue Ästhetik des Jazz, für die nicht mehr die afro-amerikanische Musiktradition von Meistern wie Louis Armstrong, Charlie Parker und John Coltrane, sondern nur mehr gewisse allgemeine Kriterien für ein angenehmes Musikerlebnis maßgeblich sein sollen. Diese Kriterien entnahm er der Theorie eines Philosophen1), nach der jedes angenehme Musikerlebnis einen oder mehrere der folgenden drei Aspekte enthalte2):
Diese Theorie wird keineswegs allen Musikarten gerecht, sondern beruht auf einem typisch bildungsbürgerlichen Musikverständnis. Diesem Verständnis kommt der europäische Jazz entgegen, einerseits durch stimmungsbetonte, atmosphärische Klänge, die zur Kontemplation anregen, und andererseits durch Elemente, die anspruchsvoll im Sinn des europäischen Kunstverständnisses erscheinen. In der afro-amerikanischen Jazz-Tradition und in der Musik vieler Völker spielen aber andere Aspekte eine zentrale Rolle, die von der philosophischen Theorie nicht erfasst werden. Pfleiderer erwähnte zwar unter dem Punkt der Kontemplation den Tanz, doch bedeutet Kontemplation Beschaulichkeit und beschauliche Betrachtung und ist daher mit Tanz kaum vereinbar. Selbst wenn man ein meditatives, in sich gekehrtes Tanzen als Teil eines kontemplativen Musikerlebnisses akzeptiert, so ist diese Art Musik zu erleben doch grundverschieden gegenüber den musikalischen Ritualen vieler Völker und auch dem partizipierenden Jazz-Hören. Während im Jazz ein körperliches Mitschwingen und bis zu einem gewissen Grad auch akustische Reaktionen der Hörer erwünscht sind, gelten sie bezeichnenderweise in Konzerten der klassischen Konzertmusik als verfehlt.6)
Der Charakter des Jazz als kommunikative, gemeinschaftliche Aktion zeigt sich auch im besonderen Stellenwert der Improvisation, also der spontanen Gestaltung in Wechselwirkung zum jeweiligen Umfeld. Der Jazz-Pianist Vijay Iyer widersprach in seiner Dissertation ebenfalls der im akademischen Milieu offenbar verbreiteten Annahme, der kontemplative Musikgenuss sei die allgemeinmenschliche Form des Musikhörens.7)
Auch der von Pfleiderer angeführte Aspekt der „ästhetischen Korrespondenzen“ ist auf ein individualistisches Selbstverständnis abgestellt, das in westlichen Gesellschaften üblich ist, nicht jedoch in vielen anderen Bevölkerungsgruppen der Erde. Ebenso ist die Trennung von Alltagserfahrung und Kunst, wie sie im Aspekt der „Musik als Kunst“ zum Ausdruck kommt, für einen westlichen Zugang charakteristisch, aber nicht selbstverständlich für die Art, wie andere Völker Musik einsetzen.
Bemerkenswert ist die Unbekümmertheit, mit der akademische und alte eurozentrische Vorstellungen immer wieder als allgemeingültig unterstellt werden.
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