Dizzy Gillespie war um 1940 ein junger, feuriger Jazz-Trompeter. Er hatte
Kontakt zu kubanischen Musikern, die sich in den USA niedergelassen hatten,
und interessierte sich für ihre Rhythmen. Denn in Kuba konnten die Nachfahren
der Sklaven viel mehr von den hochentwickelten afrikanischen
Trommeltraditionen bewahren als in Nordamerika. 1947 wollte Dizzy Gillespie
einen kubanischen Trommler in seiner Bigband haben und fand Chano Pozo. Der
war in einem Armenviertel von Havanna aufgewachsen, das bezeichnenderweise
„Afrika“ genannt wurde, und entwickelte sich zu einem Meistertrommler und
Straßenkämpfer. Später, in New York, konnte er ein paar Aufnahmen mit der
Musik machen, aus der er kam.
HÖRBEISPIEL: Chano Pozo y su Ritmo de Tambores: Ya No Se Puede Rumbear (1947)
Dizzy Gillespie war begeistert, wie Chano Pozo manchmal auf einer umgehängten Trommel spielte, in einem anderen Rhythmus dazu sang und in noch einem anderen Rhythmus tanzte – alles gleichzeitig. Bei Busfahrten auf Tourneen unterrichtete er Dizzy Gillespie und andere Bandmitglieder, indem er Schlaginstrumente verteilte und jedem einen anderen Rhythmus zuwies, sodass sie lernten, wie die Rhythmen der afro-kubanischen Musik ineinander verschränkt waren.
Dizzy Gillespie erzählte, Chano Pozo habe ihm einmal Ideen für ein neues Stück unterbreitet. Der Kontrabass sollte nicht, wie im Jazz üblich, eine Walking-Bass-Linie spielen, sondern folgende Figur:
HÖRBEISPIEL:
Dizzy Gillespie im Dokumentarfilm Roots of Rhythm (Eugene
Rosow/Howard Dratch, 2001)
HÖRBEISPIEL: Dizzy
Gillespie and His Orchestra: Manteca (1947)
Die Saxofone sollen Folgendes spielen:
HÖRBEISPIEL:
Dizzy Gillespie im Dokumentarfilm Roots of Rhythm (Eugene
Rosow/Howard Dratch, 2001)
HÖRBEISPIEL: Dizzy
Gillespie and His Orchestra: Manteca (1947)
Die Posaunen das:
HÖRBEISPIEL: Dizzy Gillespie and His Orchestra: Manteca (1947)
Und die Trompeten sollen einzelne rhythmische Akzente setzen:
HÖRBEISPIEL: Dizzy Gillespie and His Orchestra: Manteca (1947)
Das Ganze klang dann mit Chano Pozos Trommel und Dizzy Gillespies Trompete so:
HÖRBEISPIEL: Dizzy Gillespie and His Orchestra: Manteca (1947)
Dizzy Gillespie mochte diese Menge an ineinander verwobenen Rhythmen, fand jedoch, dass das Stück noch Harmonien braucht. Daher fügte er einen Zwischenteil mit Walking-Bass-Rhythmus und wechselnden Akkorden ein.
HÖRBEISPIEL: Dizzy Gillespie and His Orchestra: Manteca (1947)
In diesem Teil ist also der kubanische Charakter des Stücks verschwunden und durch herkömmlichen Bigband-Jazz ersetzt. Selbst Chano Pozos Rhythmus ist hier an den Jazz angepasst. Nur der Klang seiner Conga-Trommel erinnert noch an Kuba. Dieser Teil dient dann auch als Basis für die Solo-Improvisationen.
HÖRBEISPIEL: Dizzy Gillespie and His Orchestra: Manteca (1947)
Die Unterteilung der Komposition in zwei sehr unterschiedliche Abschnitte (einen kubanischen und einen Jazz-Abschnitt) ergab sich aus einem grundlegenden Konflikt zwischen dem swingenden Walking-Bass-Rhythmus des Jazz und den Rhythmusgeflechten der Kubaner. Die locker fließende Jazz-Improvisation funktionierte über den vergleichsweise starren und steifen Rhythmen aus Kuba nicht befriedigend. Zwischen den beiden unterschiedlichen Rhythmus-Konzepten fand eine Art Ringkampf statt, berichtete der kubanische Musiker Mario Bauzá. Nicht einmal Dizzy Gillespie habe diesen Konflikt überwinden können. Nur Charlie Parker habe es gekonnt.
Im folgenden Ausschnitt einer Aufnahme hört man Charlie Parker alleine mit kubanischen Trommlern spielen. Steve Coleman stellte fest, dass sich hier die Rhythmen von Charlie Parkers Saxofon-Linien perfekt mit den kubanischen Trommel-Rhythmen verzahnen, indem Charlie Parkers Akzente an Schlüsselpunkten mit den Trommel-Rhythmen zusammentreffen. Außerdem enthalten Charlie Parkers Linien ähnliche, sich verschiebende rhythmische Muster.
HÖRBEISPIEL: Charlie Parker with Machito: Mango Mangue (1948)
Diese Aufnahme regte Steve Coleman an, ebenfalls mit Afro-Kubanern zusammenzuarbeiten, was 1996 zustande kam. Selbst damals war das Verschmelzen der beiden Musiktraditionen noch eine Herausforderung. Dabei war es seit Dizzy Gillespies Zusammenarbeit mit Chano Pozo in den 1940er Jahren immer wieder versucht worden. Die hochentwickelte Rhythmik aus Kuba und Afrika faszinierte Jazz-Musiker und bildete eine Brücke zu ihrer ursprünglichen afrikanischen Herkunft. Das stärkte ihre kulturelle Identität.
Wichtiger als die Verschmelzungsversuche waren aber die Weiterentwicklungen, die im Jazz selbst ausgelöst wurden. So erklärte Max Roach, dass der kubanische Einfluss seinen Zugang zum Schlagzeugspiel entscheidend veränderte. Das Nachahmen der ineinander verzahnten kubanischen Rhythmen habe ihm eine Unabhängigkeit der vier Gliedmaßen verschafft.
Charlie Parkers Spielweise war eine großartige Weiterentwicklung der Improvisationskunst. Seine bedeutendste Innovation wird oft in der fortgeschrittenen Harmonik gesehen. Steve Coleman wies jedoch darauf hin, dass die Harmonik bereits bei Vorgängern wie Art Tatum genauso entwickelt war. Das Faszinierendste an Charlie Parkers Spiel sei vielmehr seine raffinierte Rhythmik gewesen. Viele seiner Phrasen würden in ihrer rhythmischen Struktur an das Spiel west-afrikanischer Meistertrommler erinnern. Wie Charlie Parker dazu kam, ist nicht ganz klar. Einerseits war auch in Nordamerika einiges vom afrikanischen Erbe war erhalten geblieben. Andererseits spielten Charlie Parker, Dizzy Gillespie und Max Roach schon 1945 gemeinsam mit afrikanischen und kubanischen Trommlern. Charlie Parker war sehr geschickt darin, Anregungen aufzugreifen und absolut stimmig in seiner Spielweise zu verarbeiten.
Der Schlagzeuger Elvin Jones, der in den 1960er Jahren John Coltrane begleitete, untersuchte kubanische und afrikanische Trommel-Rhythmen anhand von Aufnahmen. Manche Teile dieser Rhythmen fand er zu statisch und starr, um sie zu übernehmen. Er sagte, er habe sich für ihre fließenden Anteile entschieden. In folgenden Aufnahmen hört man zunächst Max Roach und dann Elvin Jones zu kubanischer und afrikanischer Perkussion improvisieren.
HÖRBEISPIEL:
Max Roach Nonet: Garvey's Ghost (1961)
HÖRBEISPIEL:
Solomon Ilori: Gbogbo Omo Ibile (1964)
Ed Blackwell war ein Schlagzeuger aus New Orleans, der vor allem an Max Roach anknüpfte. In seinen Soli entfaltete er eine Art singendes, tanzendes Trommelspiel, das stark an west-afrikanische Traditionen erinnerte, aber eigenständig war.
HÖRBEISPIEL: David Murray Quartet: Off Season (1983)
Außerhalb seiner Soli klang Ed Blackwell nicht afrikanisch, sondern stellte ein swingendes rhythmisches Fundament bereit, wie es für die Jazz-Improvisation erwartet wurde. Diese Art von Fundament beruhte immer noch auf dem Beat des Walking-Bass oder einer mehr oder weniger aufgelösten Form davon. Die spannenden Rhythmen aus Kuba und Afrika und schließlich auch die Funk-Musik ließen den Walking-Bass jedoch zunehmend altmodisch erscheinen. Und den aufgelösten Rhythmen fehlte es an Groove. Eine brillante Weiterentwicklung der Jazz-Rhythmik gelang dann Steve Coleman um 1990. Dazu im nächsten Video.
Mehr zu den kubanischen und afrikanischen Einflüsse auf meiner Jazz-Seite. Ein Link steht unter dem Video.1)
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